GROSSUHREN des 19. Jahrhunderts
Die in Frankreich zwischen 1800 und 1830
entstandenen Arbeiten des Kunstgewerbes sind fast immer noch bestimmt von
den Formen des Spätklassizismus. Die frühesten Beispiele von Uhren aus
dieser Zeit sind durch die Verbindung ägyptischer Dekorationsmotive -
Sphingen, Pyramiden, Horusfalken - mit römischen Architekturformen bestimmt.
Nach 1810 etwa entsteht der Typ der Pendule mit Figuren, der in Europa und
Amerika bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrscht. Auf einem
breiten Marmor- oder Bronzesockel steht neben einem Block mit dem
Zifferblatt eine antikisierende Figur, oft die verkleinerte Replik einer
bekannten antiken Skulptur: Athene, Achilles, Odysseus oder Alexander. Nach
Napoleons Sturz werden heroische Themen von Genremotiven verdrängt. Malende
und lesende Mädchen, Liebespaare, Kinder mit Tieren und die milderen
Gestalten der antiken Mythologie, Leda mit dem Schwan, Aphrodite, Amor und
Psyche, geben den Tischuhren weniger Würde als sentimentale Schönheit.
Die feinen farbigen Kontraste zwischen Marmor und vergoldeter Bronze werden
durch die Verwendung von Email und anderen Materialien von gelegentlich fast
greller Buntheit abgelöst. Bilder historischer Persönlichkeiten und
Ereignisse schmücken manche Uhren; Caesar überquert den Rubikon, Kreuzfahrer
erobern Jerusalem. Auch die Geschichte der Zeitmessung wird geschildert:
Eine 1838 in Sèvres entstandene Tischuhr trägt in zarter Emailmalerei die
Darstellung Anaximanders, der die richtige Aufstellung eines Gnomons
vorführt, eine andere Uhr zeigt Huygens, der seine Pendeluhr der Akademie
vorstellt.
Die Abfolge der historisierenden Stile in der Architektur des 19.
Jahrhunderts spiegelt sich in dem Wandel der Gehäuseformen der Tischuhren
besonders eindeutig. Triumphbögen und grandlose Portale tragen im
Klassizismus Zifferblatt, Werk und Pendel, noch vor der Mitte des
Jahrhunderts werden die ersten Uhren mit gotisierenden Gehäusen gebaut,
Kapellen und Brunnen, oft auch aus Gußeisen, tragen dann die Zifferblätter.
In den Jahren um 1800 und im Biedermeier werden in Wien zahlreiche
Tischuhren gebaut; auch hier arbeiteten - in das Land gerufen von Joseph 11.
- zunächst fremde Handwerker in den kleineren Manufakturen, besonders Genfer
Meister. Sie setzten die Tradition einheimischer Uhrmacher fort, die
einzelne prachtvolle astronomische Uhren gebaut hatten. Im Jahre 1816 waren
in der Hauptstadt 148 Handwerker mit der Fertigung von Kleinuhren und 104
mit dem Bau von Großuhren beschäftigt.
Nach 1850 benutzten viele Uhrmacher Architekturmotive der Renaissance und
des Barock zur Rahmung der Gehäuse, die jetzt in der Regel aus vergoldetem Zinkguß bestehen. Unter Napoleon 111. werden wohl in bewußter politischer
Erinnerung an den Kaiser sogar ägyptisierende Formen wieder aufgenommen. Der
Stilpluralismus der Zeit macht die Datierung solcher Uhren oft nicht ganz
leicht.
Kleine technische Meisterwerke sind Automatenuhren mit Darstellungen von
Handwerkern, Jägern, Gärtnern und Schäferinnen, von kämpfenden Tieren und
apportierenden Hunden. Ganz verschiedene Materialien, Porzellan, Email,
Bergkristall, Marmor, Bronze, Korallen und Holz werden zur Steigerung der
realistischen Nachbildungen verwendet. Fast alle nach 1600 entwickelten
Uhrentypen werden damals kopiert oder variiert, nur die frühen Räderuhren
scheinen vergessen zu sein. Die Zifferblätter dieser Uhren sind fast immer
emailliert mit römischen oder arabischen Ziffern, die Zeiger aber vereinzelt
in Anlehnung an gotische, meist aber an barocke Zeiger gestaltet.
Die in England, Deutschland, Osterreich und Italien während des 19.
Jahrhunderts entstandenen Tischuhren folgen oft französischen Vorbildern.
Die Weltausstellungen und zahlreiche Veröffentlichungen machen die modischen
Entwicklungen rasch und allgemein bekannt. Tisch- und Kaminuhren folgen in
Frankreich nach 1900 formal stärker den künstlerischen Idealen des Art
Nouveau; in Deutschland aber bestimmt der Jugendstil die Form der Gehäuse
weit geringer.
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